Eine digitale Reise “Der digitale Nutzer”

Gerne kannst du den Beitrag hier auch als Podcast hören.

Wie wir schon in den vergangenen Beiträgen zur Digitalen Landkarte, über Digitale Dilemma, und zur Digitalen Mission gesehen haben, wird es komplex, wenn man versucht eine einheitliche Definition für „Digital“ zu finden.

Um es einfacher zu machen, könnte man „Digital“ aber weniger als eine konkrete Sache verstehen, als eine Art und Weise, bestimmte Dinge zu tun. Und um es noch konkreter zu machen, könnten wir “Digital” in drei Teilbereiche runterbrechen:

  • Werte in neuen Geschäftsfeldern und mit neuen Technologien zu schaffen
  • in den Kernprozessen und in neuen Kundenerfahrungen einen Mehrwert zu liefern
  • sowie grundsätzliche, technische und organisatorische Fähigkeiten aufbauen, die das gesamte Unternehmen “digital“ machen. 

Denn egal, wie du dazu stehst und was es für unseren Körper, unsere Gesundheit und für unser Seelenheil bedeutet:

Wir informieren uns, identifizieren uns, kommunizieren, buchen, bezahlen und flirten online. Ja, unser Smartphone ist zum Universalwerkzeug geworden, und nicht mehr wegzudenken. Wir surfen, chatten, mailen, posten und sind immer und überall erreichbar. Oder ist es bei dir anders, wenn du mit deiner Familie oder mit Geschäftspartnern unterwegs bist, und das Essen auf den Tisch kommt: greifst du dann zuerst zur Gabel und zum Messer, oder nimmt du noch bevor du ihn isst, erst mal dein Handy, um den stattlichen Branzino in der Salzkruste in seiner ganzen Pracht abzulichten, und dies in deinem Newsfeed zu teilen? Hier hat sich eine regelrechte NOMOPHOBIE (No-Mobile-Phone-Phobie), eine Angst ohne Handy und Empfang zu sein, entwickelt. Diejenigen die unter dieser Angst leiden, fürchten, wenn sie digital nicht erreichbar sind, hören auf zu existieren. Das Funkloch wird zur Bedrohung der Identifikation mit dem Selbst.

Und wenn wir uns hier Statistiken ansehen, wundern wir uns nicht:

97% der Haushalte in denen Kinder aufwachsen, sind mit Computern oder Laptops ausgestattet. 80% der Zwölf- bis 13jährigen haben ein Smartphone. Für 50% der Kinder ist die Beschäftigung mit Computern, Onlinespielen oder Konsolen völlig normal.

Der digitale Nutzer = Kunde ist immer ONline

Aus diesen Fakten ist klar abzulesen, der Kunde ist immer Online. Ein Großteil unseres Lebens und damit auch des Geschäftslebens, findet im Netz statt, und künftig noch viel mehr. Das Netz ist um uns, und wacht über uns, und ist in uns, es ist Teil unserer DNA geworden.

Hier muss man jedoch den Grad der Tiefe verstehen, mit der die Digitalisierung in den Köpfen der nachwachsenden Generationen (Y, Z und die kommenden Alphas) verwurzelt ist.

Und der spannendste Punkt, der hier zu realisieren ist, dass die Weitergabe von Wissen hier nicht mehr, wie über Jahrtausende Generationen gewohnt, von Alt zu Jung erfolgt, sondern umgekehrt. Auch ein Grund, warum ich zB. mit meinen Kids (Steven, 24 passionierter Gamer und Marketing Freak, und Alice, 21 unser eCommerce Sternchen) zusammenarbeite und gewaltig viel über diese neue Art zu denken und zu handeln, lerne. Wie die neuesten Apps laufen, welches die besten Features sind, und welche davon längt out sind, samt ihren psychosozialen Aspekten, dass erfahren wir Eltern nun von unseren Kindern. Es geht hier auch nicht von individuelles Spezialwissen, bei mir z.B. meine Tochter mal ein spannendes neues Projekt aus der internationalen Schule erklärt hatte, nein, und sowas in der Art gab es schon immer. Sondern hier geht es um einem grundsätzlichen, natürlichen Bildungsvorsprung in Sachen digitale Medien.

Zwar gibt es auch für mich schon seit rund 15 Jahren kein klassisches Fernsehen mehr, doch ich hatte das eher durch meine Liebe zum Lesen abgelöst. Aber für die Millennials und deren Nachfolger sind der Grund flexible Streaming Möglichkeiten. Auch klassische Kochbücher und viele andere Ratgeber will keiner der Millennials mehr, weil abertausende YouTube Videos und Chefkoch und Ratgeber Apps diese ersetzen, und jedes Problem live erlebbar gemacht wird.

Der Nutzer will (ein) Erlebnis Shoppen

Ist dir bewusst, dass der wöchentliche Großeinkauf eines typischen Kunden dem häufigem, aber punktgenauem (Online) Einkauf gewichen ist? Dieses Verhalten ist längst zu einer Lebenseinstellung für viele von uns geworden.

Doch dabei ist dir bestimmt auch aufgefallen, dass die Flut der vielen attraktiven Erlebnismöglichkeiten auf einen gewaltigen (inneren) Auswahlfilter trifft. Du kannst nur noch einen Bruchteil der Angebote wahrnehmen, weil wir nur begrenzte Kapazitäten haben, rein psychisch, mental gesehen, aber auch zeitlich. Aus Sicht des Silicon Valley ist der Medienkonsum bereits so stark gewachsen, dass Steigerungen nur durch die Intensivierung (also noch besserer passenderer Inhalte mit höherer Relevanz für den Nutzer zum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Kanal – die sog. Social Media Algorithmen), oder aber durch den Entfall anderer Aktivitäten aus dem Leben des Nutzers denkbar sind.

Zu dem Entfall dieser Aktivitäten zählt z.B. das Autofahren. Schließlich verbringen wir als durchschnittlicher Autofahrer zirka 2 Jahre und 6 Monate unserer Lebenszeit hinter dem Steuer, 2 Wochen davon, allein vor roten Ampeln, obwohl mir das manchmal noch länger vorkommt. 

Es geht um Aufmerksamkeit

Die Frage ist deshalb, wodurch entsteht Aufmerksamkeit?

Klar, einerseits durch Relevanz. Also die situationsbezogene Wichtigkeit und oder Nützlichkeit in dem Moment, wo ich etwas suche oder brauche.

Das heißt ganz klar, je besser du als SENDER die Prioritäten des EMPFÄNGERS (oder deines Kunden) kennst, desto wahrscheinlicher wird der Abruf (bzw. der Fokus auf) deine/r Botschaft sein.

Doch dies überlassen wir dann eben oft den intelligenten und lernenden Algorithmen z.B. der Google Suche, die wir mit entsprechenden Inhalten „füttern“ können. Anderseits ist Aufmerksamkeitsverlust auch die Folge eines „schnellen Wechsels“, weil wir evolutionär auf die Wahrnehmung von raschen Veränderungen gepolt sind (das Rascheln im Gebüsch, ist vergleichbar mit der Push-Nachricht am Handy, die uns vom Thema ablenkt).

Deshalb ist dieses knappe und flüchtige Gut der Aufmerksamkeit unseres potenziellen Kunden nur für Sekunden verfügbar. Denn zu riesig ist die Überflutung mit Optionen. Deshalb lernt unser Wahrnehmungssystem sich zu schonen und zu laute oder nutzlose Reize auszublenden.

Was kannst du also tun? Es wirkt nur noch individualisierte Werbung und Direktansprache, die ein kontextbezogenes, und sehr persönliches Erleben befriedigt. Wenn du es schaffst diesen Punkt zu bedienen, dann stehst du auf der Gewinnerseite. Doch bedenke auch, alles muss immer schneller gehen. Prime-Service, 24h Lieferung – spätestens! Notfalls wird ein Aufpreis bezahlt, der Händler gewechselt, oder woanders gekauft, nur um nicht warten zu müssen. Action, jetzt. Realtime. Das ist die heutige Zukunft. Einen kurzen Einstieg in dieses Thema zeigt dir mein Video über Aufmerksamkeit auf Youtube. 

Wir und unser digitales ICH in „digitalen Staaten“

Wie im letzten Beitrag erwähnt ist Facebook ein gutes Beispiel für eine riesige digitale Gemeinschaft, einen digitalen Staat, der seine Mitglieder in diversen digitalen Communities organisiert.

Und all diese Communities haben etwas gemeinsam, ein Geschlecht, ein Hobby, einen Beruf, ein Ziel, einen Ort, eine Mitgliedschaft oder einfach nur Freundeskreise.

Es gibt inzwischen tausende Social Media Plattformen, doch nur ein Bruchteil davon ist weltweit relevant. In vielen Jahren China habe ich erlebt, dass es zwar mit Tencent, zB. WeChat, TikTok, Sina Weibo, usw. und trotz vielleicht anfänglicher Kopien, z.T. starke Pendants zu den westlichen Marktführern gibt, aber unter dem Strich folgen alle identischen Mechanismen. Und ggal wo, die relevanten Plattformen wie Facebook, Instagram, WeChat, Weibo und Co, sind weltweit nicht mehr wegzudenken. Sie sind Marktplatz, Nachrichtenbörse, Bühne, Fotogalerie, Meinungsmacher, Manipulatoren, Kino, Video und Werbeplattform alles in Einem. Weltweit nutzen 2.45 Milliarden (2020) Menschen Facebook, davon nutzen 1.7 Milliarden (2020) täglich. Den größten Anteil stellen die 25-34jährigen mit 29,7%, und der Anteil bei Frauen ist etwas höher. Der durchschnittliche Nutzer ist täglich zirka 20 Minuten auf der Plattform, es werden etwa 510.000 Kommentare pro Minute geschrieben, und 293.000 Mal wird irgendwo auf der Welt der Status aktualisiert (FB Q4, 2018).

Die Produktion des digitalen ICH

Unser digitales Ich, also unsere Profile, unsere Aktivitäten im Netz, unsere Datenspur, die Zugehörigkeiten, unsere digitale Lebensform, und sogar unsere digitalen „Staatsbürgerschaften“ (FB, Xing, LinkedIn, Pinterest, Instagram, YouTube), all das ist das Ergebnis eines aktiven Prozesses einer Selbsterschaffung, mit dem wir uns selbst, und unsere Persönlichkeit in unseren digitalen Aktivitäten ausdrücken.

Und bei all dem ändert sich vor allem in Hinblick auf Symbole für den sozialen Status gerade gewaltig etwas.

Früher ging es oft um Status, banal gesagt ums „angeben“ unter dem Motto: “Ich kaufe, also „bin ich“ >Teil einer erlesenen Gruppe von Käufern, zum Beispiel eines iPhones. Denn wir leben ja seit Jahrzehnten als Hedonisten in einer Genussgesellschaft, deren Mittelpunkt sich um Lifestyle, tolle Events, Unterhaltung und Amüsement dreht/e. Doch durch diese digitale Durchdringung, also die Vernetzung von und mit allem, hat sich die Inszenierung unseres ICH extrem tief in den digitalen Fluss gebettet, und hat uns und unser Verhalten geändert. Was früher der Besuch des Wochen später stattfindenden Dia Vortrages nach einer außergewöhnlichen Reise war, ist heute einfach via Facebook, Instagram und Co in Echtzeit zugänglich. Und jeder kann, ohne jemals dort gewesen zu sein, oder ein Buch darüber gelesen zu haben, bei einem Rundflug über Hawaii mitfliegen, oder den ersten seltenen Schnee in Shanghai bestaunen. Kann ich irgendwo günstiger einen solchen Kurzzeitausflug bekommen?

Heute geht es aber nicht mehr primär darum zu zeigen, was man sich alles „leisten kann“, sondern es geht ums (live) ERLEBEN.

Und dieses MitErleben bietet eben auch ein abenteuerlustiger Digitalnomade, der mit den Einheimischen gemeinsam in Camps lebt, auf einem offenen LKW durch Afrika tourt um dies via Livestreaming mit seinen Followern zu teilen.

Warum das so ist? Weil Erleben durch das Teilen einen zusätzlichen Wert bekommt. „Ich erlebe, und wenn die anderen es sehen, bin ich>sehenswert.“ UND „Ich teile, und wenn die anderen bestätigen, bin (oder werde) ich> ein Star.“ Das ist ein wesentlicher Grund für die wachsenden Profile, vor allem auf Instagram, die buchstäblich zu Schreinen kunstvoller, digitaler Selbstinszenierungen geworden sind.

Aber es haben sich nicht nur unsere Gewohnheiten verändert, sondern auch unser Verhalten. In einer von digitalen Erfahrungen getriebenen Welt funktionieren die Verlockungen des reinen Produktverkaufs nicht mehr auf die gleiche Weise, um sich des reinen Marken-Status zu versichern. Sondern es geht um das Teilen einer Erfahrung als neue Form der Selbstbestätigung, in dem sich das digitale ICH immer wieder selbst aufs Neue erschafft.

Wir sind Nutzer und Produzent gleichzeitig. Doch bei vielen Unternehmen ankern die Vorgehensweisen noch im Zeitalter des Vertriebs von Produkten, und es dreht sich um die schnellste, günstigste, und wirkungsvollste Anbahnung eines reinen Kaufaktes. Und genau das wird sich ändern. 

Digital zu arbeiten heißt jetzt ständig zu beobachten, wie sich die Entscheidungen des Kunden auf seinem Weg vom Produktinteresse bis zur Kaufentscheidung verändern. Digital arbeiten heißt, darüber nachzudenken, wie du deinen Service und das Erlebnis für den Kunden erlebenswert machst. 

Hier gilt es vor allem, die „digitale Reise des Nutzers=Kunden” zu verstehen:

  • Wie erlebt der Nutzer dein Produkt oder die Dienstleistung?
  • Wie denkt und schreibt (bewertet) er es?
  • Was sind seine Vorlieben?

Drei Trends zeichnen sich schon jetzt im digitalen Wandel von Produkten zu Diensten und vom Käufer zum Nutzer ab:

  • Der Digitale Wert entsteht in der Digitalen Erfahrung
  • Online und Offline verschmelzen
  • Das digitale Ökosystem zu managen wird wichtiger als die Marke

Der moderne, vernetzte Nutzer will soziale Referenzen und Geschichten, die er digital teilen kann und will, und in denen er eine Rolle spielt. Denn er hat seine Hand immer am Handy, um ein Bild von sich in der Welt zu produzieren, und nicht nur um die Szene zu genießen. 😉

Mit diesen Gedanken könntest du versuchen, Wege zu finden, um für deinen Kunden, mit digitalen Lösungen, die bestmögliche Erfahrung zu bieten. Und das Ganze geschäfts- und kanalübergreifend.

Alles Liebe und bis zum nächsten Mal, 

Dee

Quellen: 

Eine digitale Reise, NL 1-3, Doreen Ullrich, 2020

Shell Jugendstudie Jugend 2019

Monitoring the Future (Engelbert Wimmer, 2011)

The Second Machine Age, Wie die nächste Digitale Revolution unser aller Leben verändern wird, Erik Brynjolfsson + Andrew McAfee, 2018

The In. Car. Nation Code Wie der Wandel in der Mobilitätsindustrie gelingt, Engelbert Wimmer, 2019

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